Bild oben: Die Farm der Whites in Colorado. Im Bild: W. H. Moore, der die Hütte gebaut hat.
Leben wir, um zu arbeiten, oder arbeiten wir, um zu leben? Oder sogar beides? Heutzutage gibt es gesetzlich geregelte Arbeitszeiten und Urlaubstage: Maximal 50 Stunden Arbeit pro Woche und zwischen 4 bis 6 Wochen bezahlten Urlaub. In den USA ist bezahlter Urlaub bis heute nicht gesetzlich geregelt. Der Durchschnitt liegt bei zwei Wochen Urlaub pro Jahr. Unbezahlter Urlaub ist möglich, bedeutet aber oft eine finanzielle Mehrbelastung.
Geht man in die Gründungszeit der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten zurück, so etwa vor 150 Jahren, dann waren 16 Stunden am Tag und bis zu 100 Stunden pro Woche keine Seltenheit. Die Menschen haben sich buchstäblich zu Tode geschuftet! Mal eben einen Urlaub auf Hawaii oder in Kanada verbringen? Undenkbar! Wer in einer Fabrik angestellt war, musste sehr viel arbeiten, um seine Familie zu ernähren. Es gab genug Arbeiter, sie im Falle einer Kündigung seinen Platz eingenommen hätten. Auch die Pioniere der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten waren fleißige Arbeiter.
Vor 150 Jahren bestand die Kirche (weltweit) etwa aus 4.400 Mitgliedern. James White (1821-1881) wurde 1867 von John Andrews (1829-1883) für zwei Jahre als Präsident der Generalkonferenz abgelöst. James begleitete das Amt seit 1865, hatte aber bereits drei Monate nach seinem Amtsantritt (44-jährig!) seinen ersten schweren Schlaganfall (Das war am 16. Aug. 1865. Fünf weitere werden noch folgen: Feb. 1871, Jan. 1872, 22. April und 13. Mai 1873 und 20. Aug. 1877, siehe hier). James war ein Workaholic, immer im Dauerlauf, immer an der Grenze und darüber hinaus. Nun war er zusammengebrochen und musste eine „Zwangspause“ einlegen. Ellen, seine Frau, begleitete ihren schwerkranken Mann in die Heilanstalt „Our Home On The Hillside“ nach Dansville, New York. Das war sicher kein Urlaub, aber James hatte es dringend nötig!
1865 wurde Ellen White 38 Jahre alt. Sie war seit 19 Jahren mit James verheiratet und hatte vier Jungs zur Welt gebracht, von denen nur zwei überlebt hatten: Edson (16) und Willi (11), denn Henry Nichols (1847-1863) starb mit 16 Jahren an Lungenentzündung und John Herbert starb 1860 mit drei Monaten an Tuberkulose. Seit zehn Jahren wohnte die Familie in Battle Creek, Michigan. Ellen Whites Dienstzeit als „Botin des Herrn“ betrug bereits 21 Jahre. Das war ihre „vocation“, ihre Berufung.
Um die Verbreitung der Botschaft zu beschleunigen hatte James 1849 das Verlagswerk gestartet. Allerdings trug James einfach zu viel Verantwortung und hatte mehr zu tun, als Zeit zur Verfügung stand. Wenn man bedenkt, dass Ellen Whites literarisches Erbe einmal auf 26 Bücher und mit allen Traktaten und Pamphlets, den tausenden Zeitschriftenartikeln, den zig Brief- und Manuskriptseiten auf etwa 100.000 Seiten anwachsen würde, frage ich mich: Ging es Ellen White immer nur um ihre „vocation“ oder gönnte sie sich auch mal „vacation“, Urlaub?
Ellen White berichtet in ihrer Autobiographie, dass sie seit dem Unfall in ihrer Kindheit immer eine geschwächte Gesundheit hatte. So lag sie manchmal tagelang im Bett. Wer aus gesundheitlichen Gründen selbst schon mal „ans Bett gefesselt“ war, wird nachempfinden können, welche Art Erholung das ist. Manchmal kann das auch ein „Zwangsurlaub“ sein. Ellen White jedenfalls zählte das Bett nicht zu ihren Lieblings-Erholungsorten. Doch weil es manchmal nicht anders ging, nutze sie die Bettzeit, um zu arbeiten – in ihrem Fall um zu schreiben. Als sie einmal wegen ihres starken Rheumas in Australien das Bett nicht verlassen konnte, entstanden einige Bücher über das Leben Jesu.
Aber Ellen gönnte sich tatsächlich Erholung. Wie hat sie sich am liebsten erholt? Bei der Gartenarbeit! Täglich, oft schon in den frühen Morgenstunden, arbeitete sie im Garten. So schrieb sie am 10. Februar 1896 (fast 70-jährig) in ihr Tagebuch: „Ich bin schon um halb fünf Uhr morgens aufgestanden. Um fünf war ich bereits bei der Arbeit, habe den Boden umgegraben und ihn auf das Pflanzen meiner Blumen vorbereitet. Eine Stunde lang habe ich allein gearbeitet, dann kamen […] andere hinzu, und wir pflanzten gemeinsam unsere Blumen. Dann setzten wir 28 Tomatenpflanzen, bis der Gong zur Morgenandacht und zum Frühstück ertönte.“ (MS 62, 1896)
Im Jahr 1867 veröffentlichte Ellen White in Testimony No. 12 eine Vision mit der Überschrift „Recreation for Christians“ (Erholung für Christen). Es geht dabei um Mäßigkeit [RH, 8. Okt. 1867, 1T 514f, siehe auch ChM 138, CTBH 108]:
Mir wurde gezeigt, dass das Volk der Sabbathalter zu hart arbeitet, ohne sich Zeiten der Entspannung und Ruhe zu gönnen. Erholung ist aber sehr notwendig für alle, die körperlich schwer arbeiten und noch viel notwendiger für diejenigen, die vornehmlich Kopfarbeit verrichten. Mir wurde gezeigt, dass es weder unserer Erlösung dient, noch zur Verherrlichung Gottes beiträgt, wenn wir den Verstand auch bei religiösen Themen ständig und übermäßig beschäftigen. […]
Familien sollen sich zusammenfinden und ihre Arbeitsplätze, die sie körperlich und mental belastet haben, verlassen und einen Ausflug außerhalb der Städte und Dörfer, ein paar Kilometer aufs Land machen, an einen schönen See, einen netten Hain, wo die Naturlandschaft wunderschön ist. […] Lasst den ganzen Tag der Erholung dienen. Die Bewegung an frischer Luft wird denjenigen gesundheitlichen Vorteil bringen, die in Räumen und im Sitzen arbeiten. …
Die Farm der Whites in Colorado. Im Bild: W. H. Moore, der die Hütte gebaut hat.
Spaziergänge in schöner Natur und Picknick an frischer Luft – auch das gehörte für Ellen White zum Erholungsprogramm. Ihre Enkelkinder erinnerten sich später vor allem an die Sabbat-Picknicks. Doch sie gönnten sich als Familie auch mal richtigen Urlaub. In den 1870er Jahren fuhren sie in den Sommermonaten öfters in die Berge von Colorado. Dort wohnte die Nichte von Ellen, Louisa C. Walling. Weil die Wallings finanzielle Schwierigkeiten hatten, half ihnen James und kaufte ein Stück ihres Grundstücks. Später bauten sie dort eine einfache Sommer-Hütte, die „Whites Ranch“. Voller Begeisterung berichtete Ellen in ihren Briefen (Brief 12, 1872; RH, August 1873):
Die Berglandschaft von Colorado ist unbeschreiblich. Man kann dieses Land nicht in Worte fassen. Es ist wundervoll und großartig! Die Szenerie der großen alten Berge, einige kahl, einige mit Bäumen bedeckt, ist eindrucksvoll! Ganz instinktiv ist man beeindruckt und mit einem intensiven Gefühl der Ehrfurcht beugt sich die Seele in Demut, wenn unsere Vorstellung die Kraft des Allmächtigen erahnt. Ich möchte dieses Erlebnis der Berglandschaft von Colorado nicht missen. […] Gestern wanderte ich kilometerweit auf die steilen Berge und vor elf Uhr [abends] kam ich nicht zur Ruhe. Aber heute Morgen war ich um fünf auf, frisch und aktiv. Dieser Ausflug in die Berge hat meiner Gesundheit sehr gut getan.
Ich liebe die Hügel und Berge und die immergrünen Wälder. Ich liebe die Bäche die sanften Ströme weichen Wassers, das gluckernd über die Felsen, durch eine Klamm, an den Bergen vorbeifließt, als wollte es zum fröhlichen Lobe Gottes singen… Hier in den Bergen erleben wir die schönsten Sonnenuntergänge, die ich je gesehen habe. Das herrliche Bild des Sonnenuntergangs, vom großen Meisterkünstler auf die bewegliche Leinwand des Himmels gemalt, erweckt in unseren Herzen Liebe und tiefe Ehrfurcht gegenüber Gott. […] Als wir vor diesem Bild der unübertrefflichen Schönheit der Natur standen und die Herrlichkeiten des Himmels betrachteten, von denen wir nur eine schwache Vorstellung haben, zitierten wir leise: ,Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieben.‘
(Zitiert in George R. Knight, Ellen Whites Leben und Welt, Advent-Verlag, Lüneburg 2001, S. 22-24)