Bild oben: Die Ruinen der Klosterkirche des Convento do Carmo in Lissabon. Während des Erdbebens von Lissabon 1755 wurde das Bauwerk zerstört. Die von Königin Maria veranlasste Restaurierung geriet nach der Säkularisation der Mönchsorden von 1834 ins Stocken, nachdem nur ein Flügel des Klosters wieder hergerichtet war.
Es war eine der verheerendsten Naturkatastrophen des 18. Jahrhunderts. Am 1. November 1755, dem röm.-kath. Feiertag Allerheiligen, hörten die Menschen in Lissabon (Portugal) auf das, was ihnen die Priester sagten: Sie gingen in die Kirchen, um zu beten. Doch an diesem Tag wurden sie von einer riesigen Katastrophe heimgesucht. Ein Erdbeben mit einer geschätzten Magnitude (Stärke) von ca. 8,5 bis 9 auf der Richterskala, dessen Epizentrum im Atlantik ca. 200 km südwestlich des Cabo de São Vicente vermutet wird, erzeugte einen Tsunami, der die portugiesische Hauptstadt Lissabon fast vollständig zerstörte. Damals, zur Zeit der Aufklärung, fragten sich die Leute, wie das zu deuten sei: War es eine Strafe Gottes? Warum hat er das zugelassen?
Jesus Christus hat Katastrophen in der Natur zu den Kennzeichen seiner Wiederkunft gezählt. Über Erdbeben sagte er: »und es werden hier und dort Hungersnöte, Seuchen und Erdbeben geschehen.« (Matthäus 24,7) Er sagte aber auch »das sind die Anfänge der Wehen.« (Markus 13,8) Ich durfte bei allen drei Geburten unserer Kinder dabei sein. Nachdem der Bauch meiner Frau schon erhebliche Ausmaße angenommen hatte, fragten wir uns, wann geht es endlich los – und sind wir gut vorbereitet? Und dann kamen die ersten Wehen, aber es brauchte noch einige Stunden, bis Josua da war.
Erdbeben sind nicht die einzigen Katastrophen, die Jesus als Kennzeichen für seine Wiederkunft erwähnt. Er spricht neben Hungersnöten und Seuchen auch von Zeichen an Sonne, Mond und Sternen.
Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden Angst der Heidenvölker vor Ratlosigkeit bei dem Tosen des Meeres und der Wogen, da die Menschen in Ohnmacht sinken werden vor Furcht und Erwartung dessen, was über den Erdkreis kommen soll; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
Lukas 21,25-26
Ellen White beschreibt in ihrem Buch Vom Schatten zum Licht das Erdbeben von Lissabon ab S. 279 (Kapitel 17 „Zeichen seines Kommens“; Der Große Kampf, S.308f) folgendes:
Diese Zeichen wurden vor Beginn des 19 Jahrhunderts beobachtet. 1755 geschah die Erfüllung dieser Prophezeiung des schrecklichsten Erdbebens, über das je berichtet wurde. Es ging als Erdbeben von Lissabon in die Geschichte ein, dehnte sich aber über den größten Teil Europas, Afrikas und Amerikas aus. Es wurde auf Grönland, der Karibik, auf der Insel Madeira, in Norwegen und Schweden sowie in Großbritannien und Irland verspürt. Es erstreckte sich über eine Fläche von über 10 Millionen Quadratkilometer. In Afrika war die Erschütterung beinahe ebenso heftig wie in Europa. Ein großer Teil der Stadt Algier wurde zerstört, und ein algerisches Dorf von acht- oder zehntausend Einwohnern nahe der Grenze zu Marokko wurde von der Erde verschlungen. Eine riesige Flutwelle ergoss sich über die Küste von Spanien und Afrika, spülte Städte fort und richtete riesige Verwüstungen an.
Die größten Erschütterungen wurden in Spanien und Portugal festgestellt. In der Stadt Cadiz soll die heran stürzende Flut fast 20 Meter hoch gewesen sein. »Etliche der größten Berge in Portugal wurden stark, gewissermaßen in ihren Grundfesten, erschüttert. Die Gipfel einiger Berge öffneten sich, wurden auf erstaunliche Weise gespalten und zerrissen. Dabei flogen ungeheure Steinmassen in die umliegenden Täler. Man erzählt, dass diesen Bergen Flammen entstiegen.« (Sir Charles Lyell, Principles of Geology, 495)
In Lissabon »wurde ein unterirdischer Donner vernommen, und kurz darauf brachte ein gewaltiger Stoß den größten Teil der Stadt zum Einstürzen. Im Laufe von etwa sechs Minuten kamen 60.000 Menschen ums Leben. Das Meer zog sich erst zurück und gab die Küste frei. Dann flutet in die Wellen heran und waren bis zu 15 Meter höher als normal. … Zu anderen außerordentlichen Ereignissen, die sich während der Katastrophe in Lissabon zu toben, zählt das Versinken eines neuen Kais, der mit einem ungeheuren Kostenaufwand ganz aus Marmor hergestellt worden war. Eine große Menschenmenge hatte sich hier schutzsuchend versammelt, weil sie glaubte, außerhalb des Bereiches der fallenden Trümmer zu sein; doch plötzlich verschwand der Kei samt der ganzen Menschenmenge darauf, und nicht einer der Leichname kam je wieder an die Oberfläche.« (Ibid.)
»Dem Stoß« des Erdbebens »folgte unmittelbar der Einsturz sämtlicher Kirchen und Klöster, fast alle großen öffentlichen Bauten und mehr als ein Viertel der Häuser. Ungefähr zwei Stunden nach dem Erdstoß brach in verschiedenen Stadtvierteln Feuer aus und wütete beinahe drei Tage lang mit solcher Gewalt, dass die Stadt völlig verwüstet wurde. Das Erdbeben geschah an einem Feiertag, als die Kirchen und Klöster voller Menschen waren, von denen nur sehr wenige entkamen.« (Encyclopaedia Americana, 1831, Art. „Lissabon“)
»Der Schrecken des Volkes überstieg jede Beschreibung. Niemand weinte, das Unglück war zu groß. Die Menschen liefen hin und her, wahnsinnig vor Schrecken und Entsetzen, schlugen sich ins Gesicht und an die Brust und riefen: ‚Erbarmen! Die Welt geht unter!‘ Mütter vergaßen ihre Kinder und rannten mit Kruzifixen umher. Unglücklicherweise liefen viele in die Kirchen, um Schutz zu suchen, und vergebens wurde ununterbrochen die Hostie gezeigt, vergebens klammerten sich die armen Geschöpfe an die Altäre. Kruzifixe, Priester und Volk wurden bei dem allgemeinen Untergang verschlungen.« An diesem verhängnisvollen Tag kamen schätzungsweise 90.000 Menschen ums Leben.
Wikipedia schreibt:
Das Erdbeben hatte erhebliche Auswirkungen auf Politik, Kultur und Wissenschaften. Es verschärfte die innenpolitischen Spannungen in Portugal und führte zu einem Bruch in den kolonialen Bestrebungen des Landes. Wegen der großen Zerstörungen löste es vielfältige Diskurse unter den Philosophen der Aufklärung aus; insbesondere warf es das Theodizeeproblem neu auf, also die Frage, wie ein gütiger Gott das Übel in der Welt zulassen könne.
Welche Auswirkungen haben Naturkatastrophen auf die Gesellschaft heute? Mein Eindruck ist, dass die Intensität zugenommen hat. Wikipedia listet die Naturkatastrophen der Jahre auf (z.B. 2017, 2018, 2019, 2020, 2021, 2022, 2023). Wie damals sieht man auch heute Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft. Als Beispiel: Nach Hurrikan Harvey, der am 25. August 2017 in Texas und Louisiana große Zerstörungen angerichtet und viele Menschenleben gefordert hat, traf sich US-Präsident Donald Trump (dessen Berater u.a. Kenneth Copeland ist) mit hochrangigen Vertretern verschiedener christlicher Denominationen im Weißen Haus und gab ein Dekret für einen Tag des Gebets heraus. Dieser Tag war am Sonntag, 3. September 2017 (Meldung). Ich finde es bemerkenswert, dass ein Land, in dem Kirche (Religion) und Staat klar getrennt sind, ein Tag des Gebets – ein Sonntag – verordnet wird. Es wäre nicht das erste Mal, dass Naturkatastrophen als „Strafe Gottes“ angesehen und deshalb Menschen zur Buße (Umkehr) und zum Gebet aufgerufen werden. Es ist wohl aber das erste Mal, dass der Präsident der USA per Dekret einen Sonntag(!) dafür im ganzen Land einberuft – im Beisein vieler hochrangiger Vertreter christlicher Denominationen. Was wird wohl geschehen, wenn die Naturkatastrophen noch weiter zunehmen? Vielleicht noch mehr Gesetze, damit Menschen an einem bestimmten Tag in die Kirche gehen, um zu beten? Lies hier weiter.
Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) gibt im ersten Buch seiner autobiographischen Schrift Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit folgenden Bericht:
„Am ersten November 1755 ereignete sich das Erdbeben von Lissabon, und verbreitete über die in Frieden und Ruhe schon eingewohnte Welt einen ungeheuren Schrecken. Eine große prächtige Residenz, zugleich Handels- und Hafenstadt, wird ungewarnt von dem furchtbarsten Unglück betroffen. Die Erde bebt und schwankt, das Meer braust auf, die Schiffe schlagen zusammen, die Häuser stürzen ein, Kirchen und Türme darüber her, der königliche Palast zum Teil wird vom Meere verschlungen, die geborstene Erde scheint Flammen zu speien: denn überall meldet sich Rauch und Brand in den Ruinen. Sechzigtausend Menschen, einen Augenblick zuvor noch ruhig und behaglich, gehen mit einander zugrunde, und der glücklichste darunter ist der zu nennen, dem keine Empfindung, keine Besinnung über das Unglück mehr gestattet ist. Die Flammen wüten fort, und mit ihnen wütet eine Schar sonst verborgner, aber durch dieses Ereignis in Freiheit gesetzter Verbrecher. Die unglücklichen Übriggebliebenen sind dem Raube, dem Morde, allen Mißhandlungen bloßgestellt; und so behauptet von allen Seiten die Natur ihre schrankenlose Willkür.
Schneller als die Nachrichten hatten schon Andeutungen von diesem Vorfall sich durch große Landstrecken verbreitet; an vielen Orten waren schwächere Erschütterungen zu verspüren, an manchen Quellen, besonders den heilsamen, ein ungewöhnliches Innehalten zu bemerken gewesen: um desto größer war die Wirkung der Nachrichten selbst, welche erst im Allgemeinen, dann aber mit schrecklichen Einzelheiten sich rasch verbreiteten. Hierauf ließen es die Gottesfürchtigen nicht an Betrachtungen, die Philosophen nicht an Trostgründen, an Strafpredigten die Geistlichkeit nicht fehlen. So vieles zusammen richtete die Aufmerksamkeit der Welt eine Zeit lang auf diesen Punkt, und die durch fremdes Unglück aufgeregten Gemüter wurden durch Sorgen für sich selbst und die Ihrigen um so mehr geängstigt, als über die weitverbreitete Wirkung dieser Explosion von allen Orten und Enden immer mehrere und umständlichere Nachrichten einliefen. Ja vielleicht hat der Dämon des Schreckens zu keiner Zeit so schnell und so mächtig seine Schauer über die Erde verbreitet.
Der Knabe, der alles dieses wiederholt vernehmen mußte, war nicht wenig betroffen. Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden, den ihm die Erklärung des ersten Glaubens-Artikels so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen. Vergebens suchte das junge Gemüt sich gegen diese Eindrücke herzustellen, welches überhaupt um so weniger möglich war, als die Weisen und Schriftgelehrten selbst sich über die Art, wie man ein solches Phänomen anzusehen habe, nicht vereinigen konnten.“