Wie sich die Fußwaschung entwickelt hat
Die Bibel betont die zentrale Bedeutung der Demut (Spr 16,18; Mi 6,8; Jak 4,6; Mt 11,29), und Jesus zeigte sie, indem er seinen Jüngern die Füße wusch. Er gebot ihnen, dies ebenfalls zu tun (Joh 13,12–17). Als Siebenten-Tags-Adventisten praktizieren wir diese „symbolhafte Handlung der Demut“, bevor wir zum Tisch des Herrn kommen. Wie haben wir diese „Zeichenhandlung“ entdeckt?
Bei den Frühen Adventisten
Als William Miller über die Wiederkunft Christi predigte, schlossen sich ihm Geistliche verschiedener Konfessionen an. Unter ihnen war George W. Peavey, der von einer Konferenz in Grafton, im US-Bundesstaat Vermont, berichtete, wo er zu einer Gruppe gehörte, in der man sich nach dem Abendmahl gegenseitig die Füße wusch (G. W. Peavey, „Conference at Grafton”, Midnight Cry, 1. August 1844, S. 22). Im Jahr 1845 verteidigte Peavey die Fußwaschung in einem Brief an Joseph Marsh, den Herausgeber von The Voice of Truth. Marsh veröffentlichte Peaveys Geschichte, um ihn zu widerlegen (G. W. Peavey, „Washing Feet“, Voice of Truth, 23. April 1845, S. 29; J. Marsh, „Remarks on the Above”, Ebd. S. 29–30). Peaveys Argumente waren biblisch: Christen zeigen ihre Liebe zu Christus durch Gehorsam (Joh 14,15), das Gebot Jesu in Johannes 13,12–17 ist eindeutig, und indem wir es praktizieren, lernen wir Demut.
Peaveys Brief und Marshs Erwiderung lösten eine Diskussion darüber aus, ob die Fußwaschung eine Verordnung Jesu ist wie die Taufe und das Abendmahl. Die Gegner kritisierten, dass es nur eine Bibelstelle zur Fußwaschung gibt, und reduzierten die Fußwaschung auf einen Akt der Gastfreundschaft. Ein großer Teil der Adventisten lehnte die Fußwaschung im Mai 1845 vollständig ab, weil eine Gruppe von Fanatikern („Spiritualizers“), die sich selbst als Engel sahen und für die das Geschlecht keine Rolle spielte. Bei ihnen fand die Fußwaschung zwischen Männern und Frauen und in „zügelloser“ Weise statt. Die ersten Adventisten hielten dies für „unbiblisch“ und „die Reinheit und Moral untergrabend“ (William Miller, „Mutual Conference of Adventists at Albany”, Advent Herald, 14. Mai 1845, S. 107).
Diese Ablehnung forderte diejenigen, die die Fußwaschung praktizierten, heraus, ihre Auffassung von der Fußwaschung als Verordnung zu rechtfertigen. Enoch Jacobs ermöglichte in seiner Zeitschrift, dem Day-Star, eine Diskussion über das Thema (Eine detaillierte Liste mit Quellenangaben aus dem Day-Star findet sich in Thomas Eißner, „The Development of the ‚Ordinance of Humility‘ in the Seventh-day Adventist Church”, Seminararbeit, Andrews University, 2022). J. B. Cook ging auf die Einwände ein und schrieb, dass die Fußwaschung eine „Verordnung“ im Sinne einer Bestimmung sei, weil Jesus sie wie die Taufe und das Abendmahl „angeordnet“ habe (J. B. Cook, „To be Christians, We Must do The Works of Christ”, Day-Star, 1. Juli 1845, S. 31–32). O. R. L. Crosier stimmte Cook zu und betrachtete „diese verordneten Symbolhandlungen als gleich wichtig“ (O. R. L. Crosier, „Letter from Bro. Crosier”, Day-Star, 25. August 1845, S. 10). Jacobs selbst berichtete von Versammlungen mit Fußwaschung und betonte, dass hier das „lange vernachlässigte Gebot Jesu“ praktiziert wurde ([Enoch Jacobs], „The Meetings“, Day-Star, 15. Juli 1845, S. 40).
Bei den Sabbathaltenden Adventisten
Ellen White vertrat den Standpunkt, dass die Fußwaschung von Männern und Frauen getrennt durchgeführt werden sollte. Dazu wird eine Anekdote über einen jungen Mann erzählt, der der damals noch unverheirateten Ellen unbedingt die Füße waschen wollte. „Der aufgeregte Mann kniete sich vor Ellen hin und sagte: ‚Der Herr sagt mir, Schwester Ellen, dass ich Ihnen die Füße waschen soll.‘ Darauf konterte Ellen: „Und mir sagt der Herr, dass Sie überhaupt nichts mit meinen Füßen zu tun haben. Wenn meine Füße gewaschen werden, dann von einer Glaubensschwester, nicht von einem Mann.“ (Ellen G. White, Manuscript Releases, Bd. 5, Ellen G. White Estate, Washington, D.C. / Silver Spring, MD, S. 192).
Erwähnenswert ist, dass Ellen Harmon (später White) die Fußwaschung als ein Unterscheidungsmerkmal wahrer Gläubiger erwähnte, bevor das Thema des biblischen Sabbats am siebten Wochentag in den Vordergrund trat. In ihrem Brief an Enoch Jacobs, den Herausgeber des Day-Star, vom 20. Dezember 1845, berichtete sie von ihrer ersten Vision im Dezember 1844: „Dann wusste die Synagoge Satans, dass Gott uns liebte, die wir einer des andern Füße waschen … konnten.“ (Ellen G. White, Frühe Schriften von Ellen G. White, S. 13).
Frühe Ratschläge von Ellen White zur Fußwaschung wurden in ihrem Buch Experience and Views veröffentlicht. In einer Vision hatte Gott bestätigt, dass die Fußwaschung praktiziert werden sollte. Sie ist wichtig, weil sie „das Volk Gottes demütig macht, es von der Welt scheidet und vor dem Abfall bewahrt“ (Ellen G. White, Frühe Schriften von Ellen G. White, S. 107). Ellen White rief die Gläubigen dazu auf, dem Beispiel Jesu bei der Fußwaschung so genau wie möglich zu folgen, aber gleichzeitig sollte sie „häufiger praktiziert werden“, was zu ihrer Zeit mehr als einmal im Jahr bedeutete. Aufgrund der herrschenden Vorurteile sollte man sie mit Vorsicht, Zurückhaltung und Weisheit durchführen und an andere weitergeben.
Berichte im Review and Herald bestätigen, dass die Fußwaschung praktiziert wurde. Oft wurde dabei im Englischen der Plural verwendet: „ordinances of the Lord’s house“ (die Zeichenhandlungen des Hauses des Herrn), und meist fand sie am Abend statt („Abendmahl“). Die Fußwaschung wurde nicht wöchentlich praktiziert, sondern nur bei größeren Zusammenkünften wie Konferenzen, wenn ein ordinierter Geistlicher anwesend war. In den 1860er Jahren wurde die Fußwaschung einmal in drei Monaten oder viermal im Jahr bei „vierteljährlichen Versammlungen“ durchgeführt.
Bei den Siebenten-Tags-Adventisten
Uriah Smith betonte in seinen Artikeln, dass es bei der Fußwaschung nicht um rituelle Reinigung geht. Beim Abendmahl gehe es nicht darum, Hunger oder Durst zu stillen, und bei der Fußwaschung gehe es nicht darum, schmutzige Füße zu reinigen. Es gehe auch nicht um eine Geste der Gastfreundschaft, denn die Gäste wuschen sich normalerweise selbst die Füße. Die Handlung Jesu war völlig neu und brachte seine Demut zum Ausdruck. Er habe uns ein Beispiel gegeben. Die Fußwaschung sei die ideale Vorbereitung für das Abendmahl (Uriah Smith, „Conference Address”, Review and Herald, 24. Juli 1856, S. 93; „Feet-Washing”, Review and Herald, 24. Februar 1859, S. 108; „Feet Washing”, Review and Herald, 22. April 1862, S. 165; „The Ordinance of John XIII”, Review and Herald, 16. Juni 1868, S. 408).
Das Abendmahl wurde am Abend gefeiert, weil es die Zeit war, zu der das Abendessen gegessen wurde. W. H. Littlejohn schrieb ab dem Juni 1878 mehrere Artikel über die Fußwaschung und ging auch auf den Zeitpunkt ein. Da Jesus sein Gebot nicht an eine bestimmte Zeit gebunden hatte, argumentierte er, dass das Abendmahl nicht unbedingt am Abend stattfinden müsse (W. H. Littlejohn, „The Proper Time for the Administration of the Ordinances”, Review and Herald, 27. Februar 1879, S. 66).
In den 1890er Jahren veröffentlichte der Review Artikel von Ellen White über die Fußwaschung. Sie bestätigte und vertiefte frühere Argumente und korrigierte sogar das Verständnis eines geschlossenen Abendmahls, an dem nur getaufte Gemeindeglieder teilnehmen dürften, indem sie betonte, dass Jesus auch die Füße von Judas wusch (Ellen G. White, „Accusers Agent of the Adversary”, Review and Herald, 11. Dezember 1894, S. 769f; „The Lord’s Supper and the Ordinance of Feet-Washing”, Review and Herald (Nr. 1) 31. Mai 1898; S. 341f; (Nr. 2) 7. Juni 1898, S. 357f; (Nr. 3) 14. Juni 1898, S. 373f; (Nr. 4) 21. Juni 1898, S. 389f; (Nr. 5) 28. Juni 1898, S. 405f; (Nr. 6) 5. Juli 1898, S. 421f.). Auf der Generalkonferenz 1980 wurde das Abendmahl mit der Fußwaschung als 15. adventistischer Glaubensartikel formuliert, seit 2005 ist es der 16. Glaubensartikel.
(Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Adventist World, Oktober 2022)